Wie kann man verhindern, dass Menschen in einem bewährten System durchs Raster fallen? Was muss getan werden, damit die Behandlungsangebote besser ineinandergreifen? Und wie wird sichergestellt, dass Leistungen entsprechend vergütet werden? Um diese und weitere Fragen ging es bei der 32. Psychiatrischen Ethiktagung am 10. Oktober 2022 in der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik Reutlingen (PP.rt). Die PP.rt ist eine Tochtergesellschaft der BruderhausDiakonie und des Zentrums für Psychiatrie (ZfP)  Südwürttemberg. PP.rt und ZfP veranstalten die Ethiktagung jedes Jahr am Welttag für seelische Gesundheit. „Wir möchten gemeinsam mit allen Beteiligten selbstkritisch prüfen, wie wir anders, angemessener, sachgerechter und kreativer denken und handeln können“, betonte PP.rt-Geschäftsführer und ZfP-Regionaldirektor Professor Dr. Gerhard Längle.

Verbesserte Strukturen für eine patientenorientierte Versorgung

Was das Sozialministerium zu einer guten psychiatrischen Versorgung beitragen kann, schilderte Dr. Thilo Walker, Ministerialdirigent und Aufsichtsratsmitglied des ZfP. Mit dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, dem Landespsychiatrieplan und dem Bundesteilhabegesetz habe die Politik gute Instrumente auf den Weg gebracht. Um die Versorgung weiter zu verbessern, hält es Walker für wichtig, dass Kostenträger und Leistungserbringer ihre Expertise in entsprechenden Arbeitsgruppen einbringen. Außerdem werde das Ministerium Innovationen vorantreiben, indem fortschrittliche Versorgungsansätze eine besondere Förderung erhalten sollen, beispielsweise die sektorenübergreifende Behandlung.

Betroffene sollen einen Mehrwert erhalten

Sozialdezernent Andreas Bauer betonte, dass die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes nur gelingen könne, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten. Die steigenden Kosten für Teilhabeleistungen seien nur dann gerechtfertigt, wenn die Betroffenen auch tatsächlich einen Mehrwert erfahren. Dr. Ulrich Mack vermittelte die Sichtweise des Patientenfürsprechers. Er habe gemeinsam mit Betroffenen überlegt, welchen Beitrag psychisch kranke Menschen selbst einbringen könnten. „Dabei spielen die Akzeptanz und Annahme der eigenen Erkrankung eine wichtige Rolle“, berichtete Mack. Nur so könnten Frühzeichen erkannt und präventive Maßnahmen ergriffen werden.

Hilfeleistungen müssen „Hand in Hand“ greifen

Welche Hürden es in der Eingliederungshilfe zu überwinden gilt, erklärte Johanna Bentele. Die Geschäftsbereichsleiterin Gemeindepsychiatrie Alb-Neckar verdeutlichte, dass ein unübersichtliches Hilfesystem und wechselnde Zuständigkeiten Menschen in psychischen Notlagen oft überforderten. „Um Brüche zu vermeiden, müssen die Hilfeleistungen Hand in Hand greifen.“ Zudem sei auch die Gesellschaft gefordert, Verantwortung zu übernehmen, so Bentele: „Menschen mit sozial störendem Verhalten dürfen nicht einfach ausgeschlossen werden.“ Dr. Frank Schwärzler schilderte, welchen Beitrag die Klinik für eine bedarfsgerechte Versorgung leistet. „Mit der stationsäquivalenten Behandlung gehen wir bereits einen wichtigen Schritt in Richtung einer individuellen und sektorenübergreifenden Behandlung“, betonte der Ärztliche Direktor der PP.rt. „Allerdings ist diese Form ressourcenintensiv und somit nicht zum Nulltarif zu haben.“

Gemeinsam am selben Ziel und über Grenzen hinweg arbeiten

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion suchten die Referentinnen und Referenten gemeinsam mit Paul Butz von der AOK Alb-Neckar und Nikolaus Mantel von der Selbsthilfegruppe Psychiatrieerfahrener Reutlingen nach Lösungen für die angesprochene Problematik. Häufig genannt wurde dabei die Auflösung der Sektorengrenzen, aber auch die Möglichkeit zur ambulanten Zwangsbehandlung und die Gewinnung ausländischer Fachkräfte zur Stärkung der Personaldecke waren Diskussionsthemen. „Es geht darum, gemeinsam am selben Ziel und über Grenzen hinweg zu arbeiten“, betonte Moderator und Ärztlicher Direktor des ZfP, Dr. Hubertus Friederich.