Heilpädagogische Familienhilfe behält Kinder und Eltern im Blick

Die Heilpädagogische Familienhilfe der BruderhausDiakonie in Rottweil unterstützt
Familien mit Kindern, die geistig und kognitiv beeinträchtigt sind.
Die Kinder lachen mehr, sie sind offener und wirken zufriedener. Das fällt besonders in der Schule auf. Statt Youtube-Videos anzuschauen, treffen sie sich nachmittags mit Gleichaltrigen. Seit anderthalb Jahren unterstützt die Heilpädagogische Familienhilfe der BruderhausDiakonie in Rottweil vier geistig und kognitiv beeinträchtigte türkische Kinder und ihre Eltern. „Wir haben viel mehr erreicht, als wir gedacht hatten“, resümiert die zuständige Mitarbeiterin Jeannine Kammerer im Sommer 2023. Die Heilpädagogische Familienhilfe in Rottweil ist ein relativ neues Angebot der BruderhausDiakonie, das Behinderten- und Jugendhilfe verbindet.
Regelmäßiger Kontakt und Beratung führen zu positiven Veränderungen
Der Blick aufs Ganze ist Jeannine Kammerer wichtig. Die Sozialtherapeutin ist regelmäßig in der Drei-Zimmer-Wohnung der türkischen Familie zu Gast, trifft die Kinder im Alter von zehn bis 16 Jahren vormittags in der Schule und begleitet sie in ihrer Freizeit. Alle vier besuchen die Gustav-Werner-Schule, ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Die Lehrkräfte sind von dem Angebot der Familienhilfe begeistert und berichten Jeannine Kammerer von positiven Veränderungen. Pro Woche hat sie zehn Beratungsstunden für die Familie zur Verfügung: sechs Stunden für die Kinder, vier für den Vater und für Erziehungsfragen der Eltern. Hinzu kommen drei Stunden für die Vor- und Nachbereitung.
Ressourcen der Familie erkennen und fördern
Über die türkische Gemeinde wurde der Kontakt zum Jugendamt hergestellt. Schnell war klar, so Kammerer, dass Einzelassistenzen für die Kinder nicht ausreichen würden. Denn auch der Vater ist kognitiv beeinträchtigt, die Mutter zunehmend überlastet. Sie kümmert sich nicht nur um Haushalt und Kinder, sondern arbeitet auch vormittags als Reinigungskraft. Zunächst stieß Jeannine Kammerer auf Ablehnung. Kulturelle und sprachliche Barrieren erschwerten die Zusammenarbeit. „Die Eltern dachten, ich komme vom Jugendamt, um sie zu überprüfen und ihnen die Kinder wegzunehmen.“ Mit Hartnäckigkeit und Fingerspitzengefühl sei es ihr gelungen, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen. Die 39-Jährige versteht ihre Arbeit als Hilfe zur Selbsthilfe. Sie sorgte zum Beispiel dafür, dass sich die Kinder selbst waschen können. Bislang hatte das die Mutter übernommen. „Mit bebilderten Anleitungen und vielen Wiederholungen mussten sie das erst lernen“, berichtet Kammerer. Inzwischen ist die eigene Körperpflege für die Kinder zur Routine geworden. Den Vater unterstützt die Sozialtherapeutin bei der Jobsuche.
Fähigkeiten trainieren und Perspektiven schaffen
Mit der ältesten Tochter übt Kammerer Alltagsfähigkeiten wie Einkaufen ein. Das Mädchen könne lesen, sich auf Deutsch ausdrücken und habe eine hohe soziale Kompetenz. Allerdings reichten ihre kognitiven Fähigkeiten nicht für eine Regelschule aus. „Anhand eines vierwöchigen Lernplans hat sie das selbst festgestellt und den Wunsch, die Regelschule zu besuchen, wieder verworfen“, berichtet Kammerer. Für sie gelte es, einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt oder auf dem freien Arbeitsmarkt zu finden sowie eine geeignete Wohnform, da sie von zu Hause ausziehen möchte. Ihre jüngere Schwester benötigt weitaus mehr Unterstützung. „Ich habe spielerisch getestet, ob sie den ihr fehlenden Orientierungssinn erlernen kann“, erklärt Jeannine Kammerer. Sie begleitete das Mädchen zu deren Lieblingsplätzen. Obwohl das Haus, in dem die Familie lebt, in Sichtweite war, habe sie nicht mehr zurückgefunden. Selbst Hilfsmittel wie abgezählte Schritte und Markierungen auf der Straße hätten nichts gebracht. „Ihr Fazit: Ohne Begleitung komme das Mädchen nicht zurecht. Regelmäßig trainiere sie nun mit ihr, damit sie zumindest ihren Namen, ihre Adresse und Telefonnummer wiedergeben kann.
Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung unterstützen und stärken
Für die beiden Söhne findet Jeannine Kammerer häufig in der Schule den geeigneten Rahmen für Gespräche und Übungen. „Vormittags sind beide konzentrierter, und ich kann sie in diesem reizarmen Raum am besten unterstützen.“ Einer der Söhne zum Beispiel habe in der Schule bislang beharrlich geschwiegen. Wenn er nun kurze Sätze spricht, sei das ein großer Erfolg. Seine Eltern mussten erst lernen, solche Fortschritte anzuerkennen. Bislang hätten sie ihre Kinder als „Fluch“ gesehen, der auf der Familie liege, und versucht, die Kinder zu verstecken, erzählt Kammerer. „Inzwischen gelingt es den Eltern besser, ihre Kinder anzunehmen, wie sie sind, und sie zu stärken, wo es möglich ist.“
Autor: Andreas Straub