Vorsichtig zieht Leon* das scharfe Cuttermesser durch den dicken Pappkarton. Geschickt schneidet der Siebenjährige an den Konturen einer kleinen Figur entlang, die er zuvor aufgezeichnet und ausgemalt hat. Neben ihm auf dem Tisch steht ein stattliches Papphaus mit fünf Stockwerken und vielen Fenstern. „Das habe ich alles selbst gemacht“, erzählt Leon stolz. Seit Januar 2019 verbringt der Zweitklässler eine Schulstunde pro Woche in der Kunstwerkstatt der Grundschule Aichtal-Grötzingen. Giulia Calamia, Kunsttherapeutin beim Fachdienst Jugend, Bildung, Migration der BruderhausDiakonie, leitet dort das Projekt „Kunst fördert Entwicklung“ (KufE). Zwölf bis 16 Kinder nehmen jede Woche an dem von der Gemeinde Aichtal und der Karl Schlecht Stiftung jeweils zur Hälfte finanzierten Projekt teil.

Kunstprojekt fördert Motorik und Persönlichkeitsentwicklung

Giulia Calamia ist überzeugt, „dass das künstlerische Schaffen ganz viel in einem Menschen bewegen kann". Sie bietet den Kindern einen „wertfreien Raum, in dem sie ihre Ideen in ihrem Tempo umsetzen dürfen“, einen „sicheren Ort, an dem sie sich vertrauensvoll öffnen können“. Die kunsttherapeutisch orientierte Projektarbeit habe in erster Linie präventiven, entwicklungsfördernden und persönlichkeitsbildenden Charakter. Dennoch kommt ihr geschulter Blick den Kindern zugute. „Ich habe gelernt, genau hinzuschauen und sensibel wahrzunehmen, welche Bedürfnisse, Ressourcen und Grenzen ein Kind hat.

Leon hat von der künstlerischen Arbeit profitiert. Nach seiner Einschulung fallen den Lehrkräften seine ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten auf, andererseits entsprechen die motorische Entwicklung und die Selbstwahrnehmung nicht seinem Alter. Durch die Teilnahme am Kunstprojekt verbessern sich spielerisch seine Fingerfertigkeit und seine Teamfähigkeit. Seine Klassenlehrerin bestätigt, dass der Siebenjährige inzwischen konstruktiv in der Klasse mitarbeite und auch seine Handschrift viel leserlicher geworden sei.

Entwicklung von Leitfaden zur Kunsttherapie an Schulen

Die Weiherbachschule und die BruderhausDiakonie sind sich einig: Das Angebot „Kunst fördert Entwicklung“ sollte ausgedehnt werden und auch anderen Schulen zugutekommen. „Mit einem Angebot wie dem Kunstherapeutischen Atelier kann unmittelbar auf den indviduellen Bedarf der Schülerinnen und Schülern reagiert werden“, erklärt Ingrid Gunzenhauser, Fachbereichsleitung Jugendhilfe der BruderhausDiakonie Region Stuttgart. „Die Kunsttherapie bietet den Schulen ein großes Potenzial“, betonte Tobias Loemke, Professor an der Fakultät Umwelt, Gestaltung, Therapie der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Als Kooperationspartner hat die Fakultät der Grundschule eine fundierte wissenschaftliche Begleitung in Aussicht gestellt. Gemeinsames Ziel ist, einen Leitfaden „Kunsttherapie an Schulen“ zu entwickeln.

* Name wurde von der Redaktion geändert.