Den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz hat die Stadt Reutlingen mit einer Gedenkfeier im Spitalhof veranstaltet. Zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus hatten die Stadt Reutlingen, die BruderhausDiakonie, die Kirchen, der Diakonieverband Reutlingen, die Habila GmbH Rappertshofen, Schulen und weitere Institutionen eingeladen. Mehr als 200 Reutlinger Bürgerinnen und Bürger haben an der Veranstaltung teilgenommen. Im Theater Reutlingen Die Tonne spielten im Anschluss an die Gedenkfeier zwei Schultheater-Gruppen sowie das inklusive Tonne-Theaterensemble Stücke, die an die Opfer der Tötungsanstalt Grafeneck bei Gomadingen auf der Schwäbischen Alb erinnerten. Dort waren fast 10.000 Menschen als "lebensunwert" bezeichnet und ermordet worden. Die Theaterstücke vergegenwärtigten, was damals geschehen war und wie die Opfer zu Opfern gemacht worden waren.

Reutlingen als soziale Stadt und Ort des Gedenkens

In seiner Ansprache betonte der Reutlinger Oberbürgermeister Thomas Keck, der Name Auschwitz stehe stellvertretend für einen bis dahin unvorstellbaren Zivilisationsbruch. „Auch aus Reutlingen sind Menschen nach Auschwitz deportiert worden.“ Die Tötungsanstalt Grafeneck, Vorläufer von Auschwitz, liege unmittelbar vor der Reutlinger Haustür. Dort seien mehr als 10.000 Menschen mit Beeinträchtigungen, auch aus Reutlingen, ermordet worden. Und er erinnerte stellvertretend an die Reutlinger Sinti-Familie Reinhardt, die in Auschwitz ausgelöscht wurde.

Man brauche Orte des Gedenkens wie diese Veranstaltung, sagte der OB weiter. „Da hat sich etwas bewegt in Reutlingen: Wir haben Gedenkveranstaltungen, Stolpersteine, Gedenktafeln.“ Die zahlreiche Teilnahme an der Veranstaltung im Spitalhof stimme ihn hoffnungsvoll, „dass die Stadt Reutlingen ein guter Nährboden für Erinnerungsarbeit ist.“ Er sei froh und dankbar, dass es in Reutlingen wieder eine jüdische Gemeinde gebe. Und dass die BruderhausDiakonie und andere soziale Träger „sich einsetzen für eine soziale Stadt“. Dennoch mahnte er: „Der Ungeist ist mit dem vergangenen Jahrhundert keineswegs untergegangen.“

Kerzenschein erinnert an ermordete Menschen

In einer Sprechmotette stellten Schülerinnen und Schüler des Reutlinger Kepler-Gymnasiums stellvertretend drei Reutlinger Familien vor, die unter der Gewaltherrschaft der Nazis zu leiden hatten: die Familie eines jüdischen Kaufmanns, eines Reutlinger Kommunisten und eines jungen Menschen mit Behinderung. Der Liedermacher Thomas Felder erinnerte in einem eindringlichen, von der Drehleier begleiteten Lied an brennende Synagogen und jüdische Häuser.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BruderhausDiakonie zündeten Kerzen an – „für tausende ermordete Menschen mit Beeinträchtigungen“ und für alle Gruppen, die den Nazis als „lebensunwert“ galten. Der Reutlinger Pfarrer Martin Burgenmeister verwies schließlich noch darauf, dass die Reutlinger Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus ihren Ursprung in einem Kreis von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BruderhausDiakonie sowie der Kirchen hatte, der sich über die Jahre deutlich ausgeweitet hat und mit der diesjährigen Veranstaltung mehrere hundert Reutlinger Bürgerinnen und Bürger angesprochen hat.