Gelebte Inklusion im Unterstützungszentrum Wendlingen

Das Johannesforum in Wendlingen vereint Wohnangebot für Menschen mit Behinderung und ein Gemeindezentrum der Evangelischen Kirche.
Im Johannesforum in Wendlingen kommen unter einem Dach zwei Lebenswelten zusammen — das Unterstützungszentrum Wendlingen der BruderhausDiakonie und das Gemeindezentrum der evangelischen Kirche in Wendlingen. Im Unterstützungszentrum leben 23 Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf aus dem Landkreis Esslingen. Das Wohnangebot umfasst Einzelzimmer mit Nasszelle, Apartments und Gemeinschaftsräume. Im offenen Wohnbereich leben 16 Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung, die in der Regel tagsüber in Werkstätten außer Haus tätig sind. Die Besondere Wohnform Plus ist ein beschützender Bereich. „Hier wohnen derzeit sieben Menschen mit Behinderung, die ein verstärktes herausforderndes Verhalten an den Tag legen“, erklärt die Hausleiterin Carolin Schramm. „Das bedeutet, dass sie beispielsweise nicht verkehrssicher sind oder in besonderem Maße von Eigen- oder Fremdgefährdung betroffen sein können.“ Tagesstrukturierende Aktivitäten in Kleingruppen wie Kochen, Backen, Basteln, Sport und Ausflüge sowie Fördergruppen runden das Angebot des Unterstützungszentrums mit seinen 35 Mitarbeitenden ab. „Wir sind mittendrin statt nur mit dabei“ – so packt die Sozialpädagogin Carolin Schramm das Konzept des Unterstützungszentrums in eine griffige Formel. Ziel sei, gesellschaftliche Teilhabe zu bewirken und die Angst vor Berührungspunkten abzubauen.
Gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung fördern
Die Begegnungsmöglichkeiten mit der Kirchengemeinde, mit der die Bewohnerinnen und Bewohner Tür an Tür leben, sind vielfältig. Die Klienten besuchen etwa regelmäßig das Kirchencafé. Jeden Montag backen sie einen Kuchen, der dort angeboten wird. Am Gottesdienst im Kirchensaal nehmen sie auch mal in Hausschlappen teil, erzählt die Hausleiterin. Auch beim Gospelchor hören sie gerne zu. Ein junger Mann spiele sehr gern Tischkicker im Kirchen-Foyer. Mittwochs findet er unter den Konfirmanden, die zum Unterricht kommen, Mitspieler. Aber auch mit externen Einrichtungen und Unternehmen in ganz Wendlingen ist das Unterstützungszentrum vernetzt. „Wir beteiligen uns am Weihnachtsmarkt und kooperieren mit Schulen“, nennt Carolin Schramm Beispiele für die Quartiersarbeit. Sie hebt besonders ein Projekt hervor: Die Bewohnerinnen und Bewohner schreddern Akten, die Firmen und kommunale Einrichtungen nicht mehr benötigen. Mit dem Material polstert ein örtlicher Bestatter Särge aus. „Das ist ein Mehrwert für unsere Klienten, weil sie eine sinnvolle Arbeit leisten. Gleichzeitig entstehen so Berührungspunkte mit der Stadtgesellschaft, und das Verständnis für sie wächst.“ Dies gelte auch für das Einkaufstraining, das die Mitarbeitenden mit den Bewohnern regelmäßig etwa beim Bäcker absolvieren.
Gelebte Inklusion mitten im Ort baut Ängste und Vorbehalte ab
Ängste und Vorbehalte gegenüber Menschen aus der Eingliederungshilfe seien zweifellos vorhanden, berichtet Simon Fischer, Fachbereichsleitung Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie Region Stuttgart der BruderhausDiakonie. Diese gelte es abzubauen. So dient schon die Lage des Unterstützungszentrums – eingebettet im Ort anstatt abgekapselt am Rand – der Inklusion. Dieses Konzept bedeutet aber auch: Das herausfordernde Verhalten, das ein Teil der Menschen zeitweise an den Tag legt, kann Außenstehende verunsichern oder verstören. „Durch Reizüberflutung kann es passieren, dass jemand, der gerade noch freundlich erschien, sich plötzlich selbst kratzt oder beißt, auf den Boden wirft und schreit oder sich aggressiv gegenüber Dritten verhält. Das ist dann ein echter Schockmoment“, beschreibt Carolin Schramm die Situation.
Mit Deeskalation Probleme und Konflikte vorbeugen
Die Fachkräfte des Unterstützungszentrums sind deshalb in professionellem Deeskalationsmanagement (Prodema) geschult und haben gelernt, adäquat zu reagieren. „Ist zum Beispiel jemand in Rage und wird sehr laut, kann ich einen Impuls von außen geben, indem ich ebenfalls laut ‚Halt, Stopp‘ rufe. Das ist schwerer, als es klingt. So etwas wird in den Schulungen, die auch den Mitarbeitenden der Kirche angeboten wurden, geübt“, schildert die Hausleiterin. Ziel sei es dabei, das herausfordernde Verhalten frühzeitig zu erkennen und präventiv tätig zu werden, erklärt Simon Fischer. „Unsere Fachkräfte sind vertraut mit unseren Bewohnerinnen und Bewohnern, sie erkennen, wenn das Verhalten vom Üblichen abweicht, zum Beispiel, wenn jemand oft in die Hände klatscht“, ein Anzeichen für Anspannung. „Die Betreuungspersonen reagieren darauf, indem sie sich entweder aus der Situation herausbegeben oder den Klienten ein Angebot machen, das die Lage entspannen kann.“
Bewohnerinnen und Bewohnern auf Augenhöhe begegnen
Carolin Schramm betont einen weiteren Aspekt: „Wir versuchen in solch schwierigen Situationen, die sich auch im Stadtraum ergeben können, immer auch Vorbild zu sein und zum Beispiel ganz normal mit den Betroffenen zu sprechen, so wie ich in meinem privaten Umfeld auch mit Menschen spreche.“ Die Augenhöhe dürfe nie verloren gehen. Simon Fischer beschreibt daher die vom Unterstützungszentrum angestrebte Inklusion als Gratwanderung: „Wir wollen uns als BruderhausDiakonie sowie auch die Menschen mit ihren Beeinträchtigungen zugänglich machen und für Verständnis werben“, sagt der Sozialarbeiter. Gleichzeitig wolle man die Beeinträchtigungen der Menschen aber keinesfalls öffentlich ausstellen. „Es ist ein schmaler Grat zwischen Aufklärung, Transparenz, Inklusion auf der einen und dem Schutz von sensiblen Daten der Menschen auf der anderen Seite.“
Ulla Hanselmann
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