Wie schreibt man zwei Millionen? Wie ist es nach einer schweren Operation für Ältere in der Tagespflege fachliche Begleitung und Gesellschaft zu haben? Elf Engagierte, im Arbeitsalltag tätig in Wirtschaft, Politik und Sozialwirtschaft, erlebten bei ihren Einsätzen in Einrichtungen der BruderhausDiakonie am 12. März 2025 Menschen, die dankbar sind für jegliche Unterstützung, Bildungsangebote und Arbeitsgelegenheiten auf dem ersten Arbeitsmarkt. Einmal im Jahr, am Geburtstag ihres Gründers, lädt die BruderhausDiakonie zum sogenannten Gustav-Werner-Tag ein – samt Erfahrungsaustausch und um ein Zeichen für ehrenamtliches Engagement zu setzen.

Vom Schreibtisch in die soziale Arbeit wechseln

Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck hatte bei seinem Einsatz in der Wilhelm-Maybach-Schule, einer Sonderberufs- und Sonderberufsfachschule, nicht zum ersten Mal ein Kochmesser in der Hand. Die Schülerinnen des Vorqualifizierungsjahrs Arbeit und Beruf kochten und backten an diesem Vormittag: Kartoffelpüree, Fleischküchle und Schwarzwälder-Biskuit-Rolle. Prof. Dr. Bernhard Mutschler, Theologischer Vorstand und Vorstandsvorsitzender der BruderhausDiakonie, begleitete den OB. Schnell war ausgemacht, wer wo mithalf: „Ich geh zu den Fleischküchle“, sagte Keck. „Biskuitrolle habe ich noch nie gemacht.“ Ansonsten sei er nicht schlecht in der Küche, „bei aller Bescheidenheit“. Keck plauderte mit den Schülerinnen über Falschen Hasen gefüllt mit Eiern, die perfekte Steaksoße mit Ketchup und Essiggurke und Bifteki gefüllt mit Schafskäse. Zwischendurch fragte er: „Wie viel ist zwei Mal 400 Gramm?“ – „800.“ „Sehr gut.“ Als sich eine Schülerin mit der Kartoffelpresse abmühte, juckte es den OB sichtlich in den Fingern einzugreifen. Stattdessen motivierte er: „Auf geht’s. Das wird schon.“ Und riet: „Mal abwechseln, dann haben beide Muskelkater.

Lesen und schreiben zu können, bedeutet Teilhabe

Michael Donth, Mitglied des Bundestags (CDU), integrierte sich im Bildungshaus nahe der Reutlinger Stadthalle in eine Gruppe junger Erwachsener, die sich hier einmal wöchentlich mit ihrem Arbeitserzieher zum Unterricht trifft. An den anderen Tagen, erzählten die 18- bis 22-Jährigen, seien sie in Berufspraktika in den Werkstätten, um herauszufinden, was sie beruflich interessieren könnte. Donth, bei seinem Unterrichtseinsatz begleitet von Dr. Christian Rose, stellvertretender Stiftungsrat der BruderhausDiakonie, übte mit den Männern anhand einer Tageszeitung in einfacher Sprache Lesen und Schreiben. Dazu gehörte auch, wie viele Nullen die Zahl zwei Millionen hat. Christian Rose, in einer Eninger Schule als Lesepate tätig, unterstützte die Schüler beim Entziffern und Buchstabieren. Aufgefordert von Rose trauten sich einige an die Tafel und schrieben ihre Antworten auf. Die Gruppe applaudierte und der jeweilige Schüler ging stolz zurück an seinen Platz. 

Inklusive Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt

Im CAP-Markt, im Stadtteil Reutlingen-Orschel-Hagen, waren Susanne Häcker, Mitglied des Landtags Baden-Württemberg (Fraktion Grüne), und Ingrid Peters, Stiftungsratsvorsitzende der BruderhausDiakonie, tätig. Hier seit Jahren selbstverständlich: Im CAP-Markt arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung, alle auf dem ersten Arbeitsmarkt. Für Susanne Häcker war es eine Reise in die Vergangenheit. „Als Jugendliche habe ich in einem Laden nebenan gearbeitet. Ich habe Waren angenommen und eingeräumt.“ „Beste Voraussetzungen für einen Einsatz in der Drogerieabteilung“, so Marktleiterin Erika Katzenmayer. Eine Fülle von salzigen und süßen Snacks hatte Ingrid Peters einzusortieren und fragte sich: „Wer isst das alles? Am Ende der Woche kommt schon wieder neue Ware.“ Sie erfuhr, der Laden hat viel Kundschaft aus der Nachbarschaft. Leute, die vor Ort ihren Einkauf machen. Susanne Häcker und Ingrid Peters waren sich einig: „Es hat richtig Spaß gemacht, wir kommen auf jeden Fall zum Einkaufen.“ 

Zeit, sich kennenzulernen und auszutauschen

Bäckermeister Michael Winter nutzte das Brotbacken in der Tagesstruktur für Menschen mit Behinderung im Reutlinger Ringelbach für eine Art Unterrichtseinheit zu Mehlarten, Teigruhe und Backzeit. „Weizenmischbrot besteht aus Kartoffeln, Kürbiskernen und Roggen“, informierte der Profi, der mit dem gemeinsamen Backen, dem gemeinsamen Zählen und Abwiegen Menschen mit hohem Hilfebedarf förderte. Prof. Dr. Markus Nawroth engagierte sich bereits zum zweiten Mal im Betriebsrestaurant der BruderhausDiakonie. Der Bereichsleiter Standortpolitik der Industrie- und Handelskammer Reutlingen traf beim Vorbereiten der Fleischkäseweckle auf alte Bekannte. „Das Schöne an dem Einsatz hier ist die Begegnung mit den Klientinnen und Klienten. In ruhigeren Momenten und später bei der gemeinsamen Mittagspause ist Zeit, sich kennenzulernen und sich austauschen.“

Unterstützung und Gemeinschaft stärken Menschen

Auch zwei Teilnehmerinnen aus Tübingen leisteten Einsätze. Julia Mayer, Gemeinderätin, mit eigenen Gartenhandschuhen ausgestattet, schnitt auf dem Bioland Hofgut Gaisbühl unter Anleitung und im Gespräch mit Werkstattbeschäftigten Johannisbeersträucher. Sie freute sich über Setzlinge, die sie in ihrem Garten kultivieren möchte. Dr. Daniela Harsch, Kaufmännische Direktorin des Universitätsklinikums Tübingen, besuchte mit Dr. Tobias Staib, Fachlicher Vorstand der BruderhausDiakonie, die Tagespflege Alte Weberei in Tübingen. Als ehemalige Sozialbürgermeisterin der Stadt hatte Harsch diese mit aufgebaut. Bei der täglichen Zeitungsrunde in der Tagespflege entdeckte sie eine ehemalige Patientin aus der Uniklinik. Schwerkrank war sie gewesen, „und jetzt ist sie hier". Zu sehen, wie ein Mensch genesen kann, sei richtig gut. „Das erlebe ich in meinem Alltag ja nicht direkt.“ 

Bei einer heißen Suppe im Gustav Werner Forum in Reutlingen tauschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus – zu Themen auch über den Gustav-Werner-Tag hinaus. Der Wunsch an die politischen Verantwortlichen in Berlin und Baden-Württemberg: Soziale Belange weiterhin wichtig nehmen und Angebote samt ihrer Vorgaben klientenorientiert weiterentwickeln.

Impressionen vom Gustav-Werner-Tag 2025

Bild 1 von 8
Bild 2 von 8
Bild 3 von 8
Bild 4 von 8
Bild 5 von 8
Bild 6 von 8
Bild 7 von 8
Bild 8 von 8