Als Kind deportiert

Nahezu zwei Stunden erzählte Inge Auerbacher aus ihrem Leben – und die rund hundert Zuhörer hörten gespannt zu: wie die kleine Inge im badischen Kippenheim und im schwäbischen Jebenhausen bei Göppingen aufgewachsen war – als normales Kind in normaler Umgebung. Und wie sich das dann änderte: wie die Synagogen zerstört wurden, wie jüdische Nachbarn und Verwandte deportiert wurden. Wie sie den Judenstern anlegen und als Sechsjährige von Jebenhausen aus alleine in die einzige verbliebene jüdische Schule nach Stuttgart fahren musste. Wie sie als Siebenjährige mit ihrer Familie schließlich selbst nach Theresienstadt deportiert wurde. Wie sie heute trotz ihrer Erlebnisse in einer New Yorker Reihenhaussiedlung Tür an Tür mit Hindus, Christen und Muslimen lebt – und gut mit ihnen auskommt. „Man kann friedlich miteinander leben“, weiß sie und betont: „Wir müssen miteinander leben und voneinander lernen.“

Inge Auerbachers Besuch bei der BruderhausDiakonie in Reutlingen sei „extrem wichtig auch für unsere Jugendlichen“, sagte der Fachliche Vorstand Günter Braun. Ulrike Haas, Leiterin des Geschäftsfelds Jugendhilfe, unterstrich, dass die Frage nach einem „gelingenden Zusammenleben in Vielfalt“ nicht nur die Jugendhilfe beschäftige, sondern die BruderhausDiakonie als Ganzes.

Rassismus ist wie Krebs

„Man kommt aus einem regulären Leben – und plötzlich ist alles anders.“ Diese Erfahrung hat die Kindheit und Jugend der Holocaust-Überlebenden Inge Auerbacher geprägt. Deshalb warnt sie immer wieder, Hass und Rassismus seien wie ein Krebs: „Es fängt klein an, und dann ist man tot.“ Wer solchen Entwicklungen nur zuschaue, ohne aktiv zu werden, trage letztlich „genauso Schuld wie der, der böse Sachen macht“. Jeder Mensch habe die Wahl, sich zwischen mitmachen oder nicht mitmachen, zwischen dem Guten und dem Bösen zu entscheiden. Sie plädiert für Offenheit und Interesse an anderen Menschen, denn: „Der Hass kommt daher, wenn man nicht weiß, wer der andere ist.“

Mut zum Überleben

Woher sie, die als einziges aus Württemberg deportiertes Kind das Lager Theresienstadt überlebte, die Kraft nahm, in den USA zur erfolgreichen Chemikerin mit zwei Ehrendoktortiteln zu werden, wurde die agile 84-Jährige in der abschließenden Gesprächsrunde gefragt. Ihre Eltern hätten ihr immer Mut gemacht, antwortete sie darauf. „Man muss die Kraft haben zu sagen: Es wird auch wieder besser.“

Diese Botschaft vermittelte die Holocaust-Überlebende auch den Jugendlichen aus Reutlinger Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen der BruderhausDiakonie, deren Fragen sie sich einen ganzen Nachmittag lang stellte.

Foto: BruderhausDiakonie