Zwölf junge Männer waren am Mittwoch, 8. Mai 2024, in den Interkulturellen Campus Deizisau (ICD) gekommen, um mit dem Bundestagsabgeordneten des Landkreises Esslingen, Dr. Sebastian Schäfer, im Jugend-Politik-Talk darüber zu sprechen, wie sie ihre Integration in Deutschland erleben. Auf den Politikerbesuch anlässlich des Jubiläumsjahres der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit (siehe Info) hatten sie sich gründlich vorbereitet.

Erwartung und Erfahrung unterscheiden sich

Auf zwei Tafeln hatten sie ihre Erwartungen an ein Leben in Deutschland und ihre Erfahrungen seit ihrer Ankunft geschrieben. Die Stichworte Freiheit, Demokratie, „Religion egal“, Arbeit und Beruf standen Bürokratie, Ausländerbehörde, Rassismus und „Wohnung schwer zu finden“ gegenüber. Die jungen Männer berichteten von langen Wartezeiten bei Sprachkursen und Arbeitsgenehmigungen. Der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgelegte Jobturbo zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten führe in Hilfsarbeiterjobs statt in eine qualifizierte Ausbildung und gut bezahlte Arbeit, sagte ein Eritreer. Er hat eine Ausbildung zum Altenpfleger gemacht und möchte sich nach einigen Jahren Tätigkeit in diesem Bereich bei der BruderhausDiakonie beruflich weiterentwickeln.

Geflüchtete renovierten Campus

Der ICD, im Industriegebiet in Deizisau gelegen, unterstützt seit drei Jahren Geflüchtete bei Spracherwerb, Wohnungs- und Jobsuche und bietet eine Tagesstruktur sowie individuelle Lernhilfen. In dem eingeschossigen Gebäude, das größtenteils mit Hilfe von Geflüchteten renoviert wurde, befinden sich Klassenzimmer, Werkstatt, Küche und ein „Chill-Raum“. In der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft wird zusammen gelernt, gekocht, gegessen, diskutiert und entspannt.

Im ICD arbeitet der Fachdienst Jugend, Bildung, Migration der BruderhausDiakonie unter anderem mit dem Kreisjugendring Esslingen, dem Mehrgenerationenhaus Zehntscheuer und der Arbeiterwohlfahrt zusammen. „Unter den Trägern gibt es hier keine Konkurrenz“, sagt Bruderhaus-Projektleiter Maik Vosseler, der als Fremdsprachen-Dozent auch Sprachkurse für die Geflüchteten anbietet. Entscheidend sei eine enge Verzahnung des ICD mit Akteuren aus dem Quartier.

„Migration muss gestaltet werden“

Dr. Sebastian Schäfer sprach von einem „tollen Projekt“, das Nachahmer im Land finden sollte. „Migration muss gestaltet werden.“ Sich einzubringen, müsse sich für Geflüchtete lohnen. Bürgermeister Thomas Matrohs sagte, dass der ICD eine Brücke darstelle, die das Ankommen erleichtere. „Wenn man sich dieses Projekt anschaut, sieht man, wie Integration klappt.“ Ingrid Gunzenhauser, Fachbereichsleitung Jugendhilfe Region Stuttgart der BruderhausDiakonie, betonte, dass Integration nur gelingen könne, wenn Kommune und Land bereit seien, Integration finanziell zu fördern. Sie dankte hier der Vector Stiftung für ihre Unterstützung. Der ICD sei ein Ort des Lernens, der Bildung, des Erfolgs und der Prävention. „Junge erwachsene Menschen werden hier nicht als Last, sondern in ihrer Kompetenz gesehen.“

Info: Anlass für den Politikerbesuch im Interkulturellen Campus Deizisau waren die Feierlichkeiten anlässlich 75 Jahre Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit (bagejsa). „75 Jahre evangelische Jugendsozialarbeit bedeuten auch 75 Jahre Integrations- und Migrationsarbeit“, seit 1949, sagte Hans Steimle, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit. Teil des Jubiläumsprogramms sind sechs Regionalveranstaltungen. Deizisau war die zweite nach einem Auftakt in Lübeck.

Auf dem Foto im Detail: Die Geflüchteten stehen vor dem Campusgebäude mit Hans Steimle, Geschäftsführer Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit (2.von links), Julia Müller, Referentin für Jugend und Sozialarbeit beim Diakonischen Werk Württemberg (3. von links), Ingrid Gunzenhauser, Fachbereichsleitung Jugendhilfe Region Stuttgart der BruderhausDiakonie (4. von links), Dr. Sebastian Schäfer, Bundestagsabgeordneter für den Landkreis Esslingen (3. von rechts), Maik Vosseler, Projekt-Leiter ICD (2. von rechts).