Jeder vierte bis fünfte Geflüchtete, der aus einem Kriegs- oder Krisengebiet nach Deutschland kommt, leidet unter fluchtbedingten Traumatisierungen und psychischen Erkrankungen wie Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung. Die Integrationschancen dieser Menschen sind auch Anfang 2024 noch schlecht. „Traumatisierte Geflüchtete werden immer wieder von Ängsten übermannt, erleben depressive Episoden, sind extrem gestresst“, weiß Corinna Dennis, Mitarbeiterin des Integrationsmanagements der BruderhausDiakonie in Wolfschlugen. Sie geht davon aus, dass etwa 30 der in Wolfschlugen im Kreis Esslingen lebenden Geflüchteten aufgrund ihrer Erkrankung besondere psychosoziale Unterstützung benötigen. Diese wird seit September 2022 im Rahmen des Projekts „Teil haben – Teil sein in Wolfschlugen“ angeboten. Das Land fördert das vom Fachdienst Jugend, Bildung, Migration Nürtingen (FBJM) der BruderhausDiakonie in Partnerschaft mit der Gemeinde Wolfschlugen getragene Projekt für die Dauer von drei Jahren.

Psychisch erkrankte Geflüchtete im Alltag stabilisieren

Schon die gängigen alltagspraktischen und bürokratischen Aufgaben, die Geflüchtete zu bewältigen haben – Anträge ausfüllen, auf Behörden Termine wahrnehmen, Arztbesuche organisieren – , stellen für sie eine unüberwindbare Hürde dar, so Corinna Dennis. Die deutsche Sprache zu lernen und einer Arbeit nachzugehen, sei nahezu unmöglich. „Die Betroffenen fühlen sich völlig überfordert, ohnmächtig, hilflos und sind nicht in der Lage, sich selbstständig um ihre Angelegenheiten zu kümmern“, weiß die Diplom-Sozialpädagogin. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Ute Holder übernimmt sie die psychosoziale Betreuung in dem Kooperationsprojekt der BruderhausDiakonie und der Gemeinde. „Unser Ziel ist, die psychisch erkrankten Geflüchteten im Alltag zu stabilisieren“, sagt Corinna Dennis. Die Grenzen zwischen den Tätigkeiten des üblichen Integrationsmanagements und der psychosozialen Begleitung verschmelzen dabei. „Beides geht ineinander über“, erklärt Ute Holder.

An erster Stelle steht: Vertrauen der Betroffenen gewinnen

Ein wesentlicher Baustein ist die Netzwerk- und Vermittlungsarbeit. „Brücken schlagen“ nennen es die beiden Integrationsexpertinnen, wenn sie für die erkrankten Geflüchteten Kontakte zu deren sozialem Umfeld knüpfen, mit Ämtern kommunizieren, ihren Klienten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt behilflich sind oder sich an psychiatrisch-therapeutische Dienste wenden. Um niederschwellig als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, bieten Ute Holder und Corinna Dennis dreimal pro Woche Sprechstunden in ihrem Büro in der Gemeinschaftsunterkunft in Wolfschlugen an. Sie stehen zudem „nach Vereinbarung“ mit Rat und Tat zur Seite, sind bei Bedarf via Smartphone und WhatsApp ansprechbar. „An erster Stelle steht: Vertrauen gewinnen, eine Beziehung aufbauen, damit die bestehenden Integrationsangebote von diesen Menschen überhaupt angenommen werden können“, betont Corinna Dennis. Wie bei dem jungen Mann aus Syrien, dessen Familie in seiner Heimat getötet wurde. Er floh vor dem Militär. Gefängnisaufenthalte und Folter sowie die Fluchterlebnisse haben ihn schwer traumatisiert.

Sicheren Aufenthaltsstatus erreicht und Arbeit gefunden

Über einen Freund des Mannes gelang es den Integrationsmanagerinnen, Vertrauen aufzubauen und seine Situation in Wolfschlugen zu stabilisieren. So konnten sie Unterstützungsleistungen für ihn beantragen, mit Hilfe eines Anwalts einen sicheren Aufenthaltsstatus erzielen und eine Arbeitsstelle in einem Backbetrieb finden, wo er im Lager in der Kommissionierung tätig ist. „Geht es ihm gut, ist sein Arbeitgeber sehr zufrieden mit ihm“, sagt Ute Holder. Doch immer wieder werde der Geflüchtete durch seine Traumatisierung aus der Normalität gerissen. „Dann kann er tagelang nicht aufstehen, ist schwer depressiv und erscheint unentschuldigt nicht zur Arbeit“, berichtet Corinna Dennis. „Ich bin deshalb in sehr engem Kontakt mit seinem Arbeitgeber.“ Aufgrund der Erkrankung verhielten sich die Betroffenen oft auffällig und aggressiv. Im Idealfall könnten sie an einen Psychologen oder eine Psychotherapeutin vermittelt und therapiert werden. Denn erst wenn Gesundheit und Lebensverhältnisse stabil sind, können Integration und Teilhabe besser gelingen.

Autorin: Ulla Hanselmann