Wo bisher das Gemeindehaus der evangelischen Kirche in der Corrensstraße stand, wird in dieser Woche Richtfest gefeiert. Hier baut die Kreissparkasse Tübingen als Investorin zwei große Häuser. Einen Teil der entstehenden Wohnungen mietet die BruderhausDiakonie an. „Die von uns dort neu angebotene, besondere Wohnform eignet sich für Menschen mit geistiger Behinderung, die ein entsprechendes Maß an Unterstützung im Alltag benötigen“, sagt Sarah Allgöwer, als Bereichsleiterin bei der BruderhausDiakonie für den Landkreis Tübingen zuständig. Mit dem Wohnangebot schließe die BruderhausDiakonie eine Lücke in den bisherigen Angeboten für Klienten, die nur mit Unterstützung in eigener Wohnung leben und ihren Haushalt führen können, erläutert Walter Riedel, Leitung Region Freudenstadt, Tübingen, Zollernalb der BruderhausDiakonie.

Leben und wohnen mitten in der Gesellschaft

Kunst, Musik, Theater, Museen: Darauf freut sich einer der ersten zukünftigen Bewohner besonders. „Bald bin ich näher dran“, sagt Armin Rist. „Tübingen ist eine Kulturstadt.“ Dass der 53-Jährige daran teilhaben möchte, ist für ihn selbstverständlich. Momentan lebt Rist in einer ambulant betreuten Wohnung in Kusterdingen. „Ich bin zufrieden und die Busverbindungen sind gut, aber in einer Unistadt ist einfach mehr los.“ Armin Rist mag es, von jungen Leuten umgeben zu sein und schätzt die Vielfalt an Restaurants und Läden. „Meine Wege zu Ärzten, Supermärkten und zum Hauptbahnhof sind künftig kürzer“, erklärt er. Wenn er sich im Landesbehindertenbeirat engagie­re, sei er mit dem Zug unterwegs.

Individuelle Unterstützung durch Fachkräfte

Rist erhält momentan Unterstützung beispielsweise bei Behördenangelegenheiten und in der Hauswirtschaft. Doch das reicht nicht aus. „Wir stoßen in der normalen ambulanten Betreuung an Grenzen“, sagt Heilerziehungspflegerin Ulrike Schmid, die sich um ihn kümmert. Auch deshalb hat Armin Rist sich nach Gesprächen als einer der ersten für das neue Wohnangebot in der Tübinger Corrensstraße 29 entschieden. Dort ist eine intensivere Betreuung vorgesehen. Er war schon vor Ort: „Die Lage ist super.“ In der Corrensstraße sind insgesamt 19 Betreuungsplätze in sieben Wohneinheiten vorgesehen, Einzelapartments sowie Wohnungen für Wohngemeinschaften. Die individuelle Betreuung für die Bewohnerinnen und Bewohner leistet ein multiprofessionelles Team aus Sozialpädagogen, Pflegern, medizinischen Fachkräften, Alltagsbegleitern und Helfern.

Weitere Fachkräfte gesucht, Stadtteiltreff bietet Begegnung

„Wir stellen derzeit unser neues Team zusammen“, sagt Allgöwer. Die Personalakquise habe bereits begonnen und die ersten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind eingestellt. „Aber Menschen die an einer Mitarbeit interessiert sind, dürfen sich gerne bei uns melden“, ermuntert Allgöwer. Die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner werden nach und nach einziehen. Rund um die Uhr sollen in der Corrensstraße Ansprechpartner präsent und erreichbar sein. Eine Kooperation für Begegnung und Beschäftigungsmöglichkeiten ist mit dem Paul-Lechler-Krankenhaus angedacht. Im Untergeschoss des Gebäudes entsteht ein Treff für den Stadtteil, der offen ist für alle Bürgerinnen und Bürger.

Wohnangebot auch für jüngere Menschen mit Behinderung attraktiv

Um die Belegung der Zimmer in der Corrensstraße kümmert sich Ramona Nestler vom Sozialdienst der BruderhausDiakonie. „Die Leute müssen zusammenpassen“, hebt sie als wichtigstes Ziel ihrer Arbeit hervor. Neben Klienten wie Armin Rist aus dem ambulant betreuten Wohnen komme die besondere Wohnform für viele weitere in Frage. Gedacht ist das Wohnangebot gerade auch für jüngere Menschen mit geistiger Behinderung, die bei ihren Eltern ausziehen, aber weiter Unterstützung benötigen.

Inklusion auf lokaler und regionaler Ebene voranbringen

„Ich freue mich schon auf den Umzug im nächsten Jahr in ein neues Haus ohne Barrieren“, sagt Armin Rist. Seinem Hobby Schwimmen kann er künftig leichter nachgehen – zum Tübinger Hallenbad ist es von der Corrensstraße aus nicht weit. Rist möchte, dass sich Leute mit und ohne Behinderung begegnen. So schwebt ihm zum Beispiel ein Grillfest mit den Nachbarn vor. „Ich könnte mir auch vorstellen, für eine größere Gruppe zu kochen“, sagt Rist. Mit Unterstützung seiner Betreuerin soll es einen Braten mit Nudeln geben. „Wir müssen die Inklusion auf regionaler Ebene voranbringen", sagt Rist. Er schaue positiv in die Zukunft.

Text: Andreas Straub