Zwei Bewohnerinnen des Gustav-Werner-Stifts in Friedrichshafen wissen, was es heißt, plötzlich aus dem Alltag gerissen zu werden. Die eine, Mitte 80, hatte einen Schlaganfall und ist seither linksseitig gelähmt. Ihre Mitbewohnerin, Anfang 80, hat sich den Oberschenkelhals gebrochen. Beide Frauen nehmen am Projekt Therapeutische Pflege (TEPF) teil. Das gezielte Training von Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit und Koordination soll es den Klientinnen ermöglichen, wieder ein eigenständiges Leben außerhalb des Pflegeheims zu führen.

Aufenthalt kann mehrere Monate dauern

„Das ist ein völlig neuer Ansatz in der Pflege“, sagt Katja Michael, Referentin Altenhilfe bei der BruderhausDiakonie. Für viele Menschen sei das Pflegeheim der letzte Wohnort in ihrem Leben. TEPF biete Perspektiven für ein selbstständiges Leben nach dem Heimaufenthalt. Ein interdisziplinäres Team aus Pflegekräften, Bewegungstherapeuten, Physio- und Ergotherapeuten unterstützt die teilnehmenden Seniorinnen und Senioren. Gefördert wird TEPF durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg. Im Rahmen des Innovationsprogramms Pflege finanziert das Land das Projekt mit rund 500.000 Euro. Die Lindera-App, die sich an das Pflegedokumentationsprogramm anbinden lässt, ermittelt das individuelle Sturzrisiko. Zudem werden geeignete Maßnahmen zur Prävention und zum Erhalt der Mobilität abgeleitet. Alle im Pflegeheim gesammelten Ergebnisse und Erfahrungen werden evaluiert und ausgewertet. Dafür kooperiert die BruderhausDiakonie mit der Hochschule Ravensburg-Weingarten, die das Projekt wissenschaftlich begleitet.

Therapieraum mit seniorengerechten Fitnessgeräten eingerichtet

Das Seniorenzentrum Gustav-Werner-Stift hat für TEPF einen eigenen Wohnbereich geschaffen. Zudem wurde ein moderner Therapieraum mit seniorengerechten Sport- und Fitnessgeräten eingerichtet. Das tägliche Training besteht aus einzel- und gruppentherapeutischen Angeboten sowie alltagsbezogenen Übungen, die fein- und grobmotorische Fähigkeiten verbessern helfen. Alle Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer erhalten einen individuellen Behandlungsplan, der den gesamten Bewegungsapparat einbezieht.

Neue Wege im Pflegesystem gehen

Die Zielgruppe ist klar definiert: Menschen, die bislang selbstständig gelebt haben und durch einen Unfall, eine Krankheit oder eine Verletzung plötzlich auf Hilfe anderer angewiesen sind. Aber auch Seniorinnen und Senioren, die schon länger im Pflegeheim leben und für das Training geeignet sind, können sich an dem Projekt beteiligen, betont Mathias Kaupp, Hausleitung Gustav-Werner-Stift und Projektverantwortlicher vor Ort. Er sieht es als gesellschaftlichen Auftrag, neue Wege im Pflegesystem zu gehen. TEPF biete die „Chance, Pflegebedürftigen mit Potenzial neue Perspektiven zu eröffnen“. Wichtig ist ihm, dass auch die Pflegekräfte in das Projekt eingebunden sind. Diese werden von erfahrenen Physio- und Bewegungstherapeuten geschult, damit sie die Seniorinnen und Senioren dabei unterstützen, die erlernten Übungen im Alltag anzuwenden. Bei den Projekteilnehmern gebe es bereits deutliche Fortschritte in der Beweglichkeit, berichtet Anna Wenisch, gelernte Krankenpflegerin und studierte Pflegewissenschaftlerin. Sie ist gemeinsam mit dem Sporttherapeuten Michael Höllwarth für das Training im Therapieraum zuständig.

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